Das Drama der gestrandeten Wale

Hunderte Wale, Delfine und Schweinswale verlieren Jahr für Jahr anscheinend die Orientierung und stranden, was für die Meeressäuger meistens einen langsamen, qualvollen Tod durch ersticken bedeutet. Dabei handelt es sich nicht nur um Einzelfälle, sondern massenhafte Strandungen mit hunderten verendeten Tieren. Im Februar 2017 strandeten 650 Grindwale an der neuseeländischen Küste, über 300 davon konnten nicht mehr gerettet werden. 2016 wurden 80 Wale am Golf von Bengalen in Indien angespült, 36 davon konnten lebend zurück ins Meer gebracht werden, aber die meisten von ihnen strandeten kurz darauf erneut. 2015 wurden 337 tote Wale an der Südküste Chiles entdeckt. 2009 strandeten 55 Kleine Schwertwale in Südafrika. Das Phänomen der Walstrandungen ist nicht neu und wurde schon vor Jahrhunderten dokumentiert; daher ist es nicht ausschließlich auf menschliche Aktivitäten in den Weltmeeren zurückzuführen, wie man es vermutlich gerne annehmen würde. Bei über 95% der gestrandeten Tiere handelt es sich Tiere, die bereits im Meer an Altersschwäche, Verletzungen oder Krankheiten gestorben sind oder durch Schleppnetze getötet wurden und dann durch die Meeresströmung an die Küste gespült wurden.

Gestrandetes Buckelwalkalb

Gestrandetes Buckelwalkalb in Alaska

Warum stranden Wale und Delfine lebend?

Bei den Massenstrandungen handelt es sich fast immer um Arten, die in den Tiefen der Ozeane beheimatet sind. Grindwale sind die häufigsten Opfer, aber immer wieder findet man auch Schwertwale, Breitschnabeldelfine oder Pottwale. Diese Wal- und Delfinarten leben normalerweise in Tiefen von über 1000 Metern und sind überaus sozial, sie leben in Gemeinschaften, die aus hunderten Tieren bestehen können.

Auch wenn man die Massenstrandungen von Walen und Delfinen wohl in erster Linie den Machenschaften des Menschen zuschreiben möchte, spricht die Tatsache, dass es sich bei den meisten Strandungen um in großen Wassertiefen lebende Arten handelt, dagegen. Die Massenstrandungen erfolgen ebenfalls häufig an ganz bestimmten Orten. Sie erfolgen oft in Küstengebieten mit einer sehr geringen Wassertiefe, starken Gezeitengängen und folglich großen Unterschieden in der Wassertiefe. Meistens stranden die Meeressäuger an Stränden mit einer geringen Neigung und feinem Sand. Diese Fakten scheinen zu beweisen, dass es für die Massenstrandungen andere Ursachen als die Aktivität des Menschen geben muss.

Massenstrandung Kleiner Schwertwale

Massenstrandung Kleiner Schwertwale in Argentinien, 1946

Ursachen für die Orientierungslosigkeit

Es ist wenig überraschend, das Wale und Delfine, die normalerweise in großen Wassertiefen zu Hause sind, im flachen Wasser in Schwierigkeiten geraten. Dennoch müssen gewisse Gründe vorliegen, warum sie die Wassertiefe anscheinend nicht mehr richtig einschätzen können. In der Tat ist das Echolot, mit dem sich die Meeressäuger orientieren, in dieser Umgebung weniger effektiv und die Wale werden zum Opfer der Meerestopologie. In der Gegend von Golden Bay auf Neuseeland, wo die Grindwale massenhaft strandeten, ereigneten sich in den letzten Jahren bereits mehrere solcher Zwischenfälle. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Mehrzahl solcher Strandungen auf Fehleinschätzungen der Wassertiefe zurückzuführen ist und dass die Tiere beispielsweise blind einer Beute ins flache Wasser gefolgt sind. Starker Gezeitenwechsel in Buchten und Meerengen tut dann sein übriges und die Tiere sitzen in der Falle. Der Klimawandel trägt wohl auch dazu bei, denn er verändert die Meeresströmungen und beeinflusst das Verhalten von Beutetieren wie den Tintenfischen. Wenn ihr Körper aber für lange Zeit auf einer festen Oberfläche aufliegt, wird ihr Brustkorb unter dem enormen Gewicht zusammengedrückt und die Organe und Muskeln werden nach und nach verletzt, was zu einer toxischen Reaktion in den Nieren führt, die am Ende tödlich verläuft.

Toter Schwertwal

Toter Schwertwal

Alter, Krankheit, tödliche Solidarität?

Innerhalb der Wal- und Delfinverbände können sich ein oder mehrere alte oder kranke Tiere befinden. Je schwächer die Tiere werden, desto eher suchen sie flache Gewässer auf, um leichter zum Atmen an die Oberfläche auftauchen zu können. Im Sommer 2013 wurde bei hunderten Walen und Delfinen ein Virus entdeckt, der sehr ansteckend ist und den Atemapparat sowie das Nervensystem schädigt.

Außerdem ist bei jungen Meeressäugern das Echolot noch nicht vollkommen ausgereift und diese Verbände können in Schwierigkeiten geraten, wenn sie aus Versehen in ein gefährliches Gebiet vorgedrungen sind. Obduktionen von gestrandeten Walen haben außerdem ergeben, dass viele junge Tiere stark unterernährt waren und nur sehr wenig Fettgewebe hatten, welches für die Wärmeregulation und den Auftrieb im Wasser von entscheidender Bedeutung ist. Eine Ursache dafür ist wahrscheinlich die verstärkte Fischerei und insbesondere die zunehmende Krillfischerei in einigen Gebieten.

Die letzte Möglichkeit besteht aus der Beobachtung, dass die Tiere extrem sozial veranlagt sind, was eventuell dazu führt, dass die gesamte Gruppe strandet, sobald ein einzelnes Tier im Flachwasser festsitzt. Grindwale beispielsweise sind äußerst gesellig und verbringen ihr gesamtes Leben in festen Gruppen von 15 bis 20 Tieren, die matriarchalisch organisiert sind. Ihr Instinkt bringt die Tiere dazu, den anderen bis zur Strandung zu folgen. Werden sie zurück ins Wasser befördert, dann stranden sie oft erneut, solange ihre Artgenossen noch am Ufer festsitzen. Bei der Rettung von gestrandeten Walen und Delfinen muss also mit den Anführern der Gruppe begonnen werden.

Sonar und andere akustische Störungen

Gewisse Unterwassergeräusche haben eine sehr große Reichweite und können die Meeressäuger oder ihr Echolot durcheinander bringen; sie können sogar dazu führen, dass die Tiere mehr oder weniger gehörlos werden. Diese Lärmbelästigungen entstehen bei militärischen Übungen, durch Unterwassersonden oder bestimmte Sonargeräte. Im Falle der Massenstrandung auf Neuseeland kreuzte ein Forschungsschiff der Ölindustrie seit einigen Monaten in der Umgebung, um seismologische Daten zu erheben.

Sonnenstürme, geomagnetische Anomalien

Starke Winde und starker Seegang können die Tiere ebenfalls verwirren und sie zu nah an die Küste schwimmen lassen. Mehrere Strandungen wurden aber auch im Zusammenhang mit militärischen Sonartests im Niedrigfrequenzbereich beobachtet.

Gestrandete Wale

Gestrandete Wale an der Küste Australiens

Seit einiger Zeit gehen die Forscher auch davon aus, dass einige dieser Phänomene mit dem Auftreten von geomagnetischen Stürmen in Zusammenhang stehen. Wenn aus der Sonnenkorona energiereiche Elementarteilchen ausgeworfen werden, verursacht das geomagnetische Anomalien, die unter anderem Satelliten beschädigen oder zu Stromausfällen führen können.

Diese Sonnenstürme könnten sehr wohl die Fähigkeit der Meeressäuger, magnetische Felder wahrzunehmen, empfindlich stören. Diese Theorie ist nicht neu und soll in der nahen Zukunft genauer erforscht werden, indem Unterwasser-Messgeräte an den Schauplätzen von Massenstrandungen aufgestellt werden und die Daten mit der Aktivität der Sonne verglichen werden sollen. Vielleicht wird es so möglich werden, die Strandungen mit den Wetterbedingungen im Weltall in Verbindung zu bringen. Bei Sonnenstürmen könnte somit umgehend vor Massenstrandungen gewarnt werden und der Einsatz der Rettungsteams besser koordiniert werden.

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